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Before Stonewall

Das fast durchweg überschwengliche Presselob für Ang Lees Brokeback Mountain entspringt einem homophoben Reflex

Wenn der Gebrauch eines Begriffes ins Inflationäre abgleitet, ist Mißtrauen am Platze. „’Brokeback Mountain ist ein einfühlsamer Liebesfilm über zwei schwule Cowboys“, sendete das WDR-Radio Eins Live, und Deutschlandradio Kultur sekundierte: „Mit ‘Brokeback Mountain’ hat Regisseur Ang Lee aus einer Kurzgeschichte der Pulitzerpreisträgerin Annie Proulx einen Liebesfilm gemacht.“ Auch das Hamburger Abendblatt suchte glaubhaft zu machen: „Brokeback Mountain ist ein Film über die Liebe.“ Gleichermaßen die Süddeutsche Zeitung, die den „Schwulen-Western“ einen „tragischen Liebesfilm über zwei Cowboys“ nannte, während die Bild-Zeitung vor lauter Rührung gleich einen neuen Superlativ erfand: „Diese tragische Romanze zweier schwuler Cowboys ist die herzzerreißendste Love-Story des Jahres.“

Was lehrt ein Jubel, der noch aus dem homophobsten Dumpfblatt tönt? – „Brokeback Mountain“ mag vieles sein, nur eines ist er garantiert nicht: ein Liebesfilm, eine Lovestory, eine Romanze oder was sonst noch an Synonymen mobilisiert wurde, um nicht schreiben zu müssen: Das ist ein Film über das Gegenteil von Liebe, einer über den Haß. Weil es um Haß und seine oft mortalen Folgen geht, zerreißt er Zuschauern das Herz, doch liegt ein gravierender Unterschied darin, wie er das tut und warum. Liberalen Heteros nur im Kino nämlich dank des „Ist das nicht schlimm?“-Reflexes, jenen aber, die ein Coming-out vor oder hinter sich haben, intensiver und anhaltender wegen des Wissens oder zumindest doch unterschwelligen Gefühls: Da geht es um mich, die Lackschicht Toleranz über dem Volksempfinden ist äußerst dünn – und längst rissig.

Daß er die Realität der Bedrohung, ihre fortbestehende Alltäglichkeit den potentiell Betroffenen selbst ins Gedächtnis ruft, vor allem aber, daß sich die bigotte Dominanzgesellschaft in dem Spiegel erkennt, den Ang Lee ihr vorhält, machte den Streifen selbst vor allem in den USA zum Haßobjekt. Die fundamentalistische Rechte geiferte, Juroren der Oscar-verleihenden Academy of Motion Picture Arts and Sciences weigerten sich, ihn auch nur anzusehen, Filmposter fielen unter die Selbstzensur und Kirchen warfen dem Regisseur allen Erstes vor, „mit raffinierten Mitteln“ einen homosexuellen Lebensstil zu propagieren. – Als könnte es eine eindringlichere Warnung vor diesem Lebensstil geben als „Brokeback Mountain“!

Aus demselben Motiv folgt auch in fast allen deutschsprachigen Medien dem Lob die sofortige Distanzierung vom „Schwulen-Thema“: „Regisseur Ang Lee macht aus diesem Dilemma zweier einander liebender Männer aber kein Schwulendrama, sondern einen bestechend schlichten, berührenden, eindringlichen, erschütternden und schönen Film über die Liebe.“ Man achte auf das verräterische „aber“ der Wiener Zeitung. Beim Hamburger Abendblatt kommt die Aversion subtiler daher: Die Hauptdarsteller „spielen so natürlich und überzeugend, daß man sich sofort mit ihnen identifizieren kann – wohlgemerkt mit zwei schwulen, männlichen Schafhirten!“ Das tut man aber nicht, darum die Lüge nochmal mit dem Holzhammer: „Die tiefe, großartige Liebe zwischen zwei Menschen und die Frage, ob sie sich trotz widriger Umstände, für ein gemeinsames Leben entscheiden, steht im Mittelpunkt des Films.“ Die WDR-Radiostimme von Eins Live übelt’s, „die beiden Frauenschwärme Heath Ledger und Jake Gyllenhaal knutschend zu sehen“, doch zum Glück „läßt einen die hier so tiefgehend dargestellte“ – nur so dargestellte! – „Liebe nach kurzer Zeit vergessen, ob nun Frau und Mann, Frau und Frau oder eben Mann und Mann zusammenkommen.“ Im Deutschlandradio Kultur machte der Kritiker dem Ressentiment deutlicher Luft und atmete auf, das sei „kein ‘Homo-Nischenfilm’ um ‘schwule Cowboys’, sondern“ – also im Gegensatz zu dem, was „uns“ diese Perversen sonst zumuten – „bewegende, gefühlvolle Kinokunst um ein sich mit großem Einfühlungsvermögen entwickelndes, packendes Melodram“. Oder mit dem Sendemanuskript des Hessischen Rundfunks, wo man sich von dem, worum es im Film tatsächlich geht, auch eher angeekelt zeigt: „Brokeback Mountain ist ein überzeugender Liebesfilm, in dem die Homosexualität der Protagonisten eher das nachgeordnete Problem darstellt.“ – Eine selbsterfüllende Prophezeihung: Homosexualität ist nicht das nachgeordnete Problem, sondern sie wird mehr oder minder bewußt nachgeordnet durch die ordnende Hand des Vorurteils. – Eines Vorurteils, das die Gesellschaft ihren Perversen genauso antrainiert hat wie den Cowboys Jack Twist und Ennis Del Mar, weshalb auch die gesamte hiesige Homo-Presse die Lüge vom Liebesfilm in vorauseilendem Gehorsam und aus anerzogenem Selbsthaß mitlog. Denn wie gesagt, „Brokeback Mountain“ ist ein Film über den Haß. Der Brokeback ist überall, und am Ende ist Jack Twist tot.

Eike Stedefeldt