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Präventionsgeschäft

„Der Umgang mit Kondomen ist kinderleicht: Füllen Sie ein Kondom bis zum Anschlag mit billigem Rotwein und werfen Sie damit nach schlechten, gemeinen Menschen. Aber benutzen Sie nicht ernsthaft ein Kondom beim Geschlechtsverkehr! Der Anblick eines hochgeilen Mannes, der mit zitternden Fingern versucht, seinem Dödel ein Kondom überzustülpen und gleichzeitig dessen Erektion zu erhalten, ist eines der würdelosesten Schauspiele zwischenmenschlichen Bemühens. Nehmen Sie lieber eine kalte Dusche oder geißeln Sie sich mit nassen Handtüchern, darin liegt mehr Würde als in einem Geschlechtsverkehr, bei dem Ihr Schwanz eingepackt ist wie eine Teewurst“, empfahl 1992 Walter Moers, was heute „Barebacking“ heißt. Daß es im übertragenen Sinne zunehmend auch von den Akteuren einer profitorientierten AIDS-Präventionspropaganda betrieben wird und warum hierbei welche Interessen prima harmonieren, erhellte sich Ortwin Passon

Der aus dem amerikanischen Pferdesport (Rodeo) entlehnte Fachbegriff Barebacking, übersetzt „Reiten ohne Sattel“, steht für „Sex ohne Gummi“. Die Akteure der darunter subsumierten Sexualpraktiken unterscheiden zwischen „Geschenkgebern“ (Giftgiver) und „Ungeziefersammlern“ (Bugchaser) – also solchen, die es sexuell erregend und befriedigend finden, eventuell bakterien- oder virushaltiges Sperma an andere weiterzugeben (pozzen) oder selbiges in sich oral, rektal oder vaginal aufzunehmen. Das könnte mit nachweislichem Begehrtwerdenwollen zu tun haben und geht ins Psychologische, worüber renommierte Sexologen bereits in den 1980ern schlaue Bücher geschrieben haben. Aber wer kennt die schon? Statt dessen wurden diese Termini einem Massenpublikum zum Fraß vorgeworfen. Beredtes deutsches Beispiel war Louise Hogarths auf der Berlinale 2003 gezeigtes, weniger aufklärendes als moralisierendes Drama „The Gift“, dessen Botschaft Sachunkundige kritiklos durchwinkten: „Eine schwachsinnige Dekadenz, die Schwule, die seit Jahren gegen das Virus in ihrem Körper ankämpfen, nicht nachvollziehen können und die von einer verirrten Todessehnsucht und einem Trend zu ‘Aids-light’ sprechen“, lobte die politiktheoretisch alles andere als sattelfeste Chefredakteurin Manuela Kay den Film in ihrer Besprechung fürs Homoblatt Siegessäule (Februar 2003, S.14). „The Gift“ zeige „junge Schwule, die einst Bugchaser waren und nun, mit der HIV-Infektion lebend, über ihre Dummheit reflektieren“ und „glückliche Positive“, die „über ihr befremdliches Bedürfnis“ erzählten. „Ein aufrüttelnder Film“ sei das, der versuche „Neutralität – aber glücklicherweise nicht wirkliche Akzeptanz – gegenüber dem Phänomen zu schaffen“.

Zügelloses Zurechtreiten von "Sexmonstern“ für den Mainstream

Die Frage, warum Barebacker mit dem undisziplinierten Ausleben ihrer Unterleibsbedürfnisse gerade auf die Ablehnung derjenigen stoßen, die gemäß der kapitalistischen Verwertungslogik der Ausbreitung von AIDS ihre Daseinsberechtigung und ökonomische Grundlage verdanken, stellte erstmals 1999 Dirk Hetzel auf dem Essener AIDS-Kongreß: „Handelt es sich bei der Mehrheit derjenigen, die auf das Kondom verzichten und sich wieder eigene Regeln für ihre Sexualität geben, um lebensmüde Abenteurer? Wer das glaubt, der irrt.“ Hetzel verwies dabei auch auf erste, Ende 1998 mit eindeutig anklagendem Tenor in der Homo-Presse erschienene Artikel: „Barebacking stellt einen Verstoß und einen Angriff auf bisherige Präventionsbemühungen dar: ‘Immer mehr Gays lassen die Safe-Sex-Regeln kalt’ ist in der Dezember-Ausgabe der BOX zu lesen. Die Bestürzung ist groß, daß sich bislang HIV-negative Männer bewußt infizieren lassen könnten und Positive resistente Virenstämme austauschen.“ Bei allem Verständnis für die billig und gerecht Denkenden, das Hetzel durchblicken ließ, merkte er dennoch an: „Etwas verwunderlich ist hierbei die Schärfe, in der so mancher Artikel geschrieben ist. Die Autoren scheinen überrascht zu sein, daß aller Präventionslogik zum Trotz Männer ungeschützten Sex miteinander haben wollen. Handelt es sich hierbei wirklich um ein neues Phänomen?“ und erinnerte daran, daß der Wunsch, Sex ohne Kondom zu praktizieren, schließlich schon gelebt wurde, bevor und „seit es AIDS“ gab – und natürlich auch weiterhin gelebt wird. „Warum also die jetzige Aufregung? ..."

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