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Allianz der Spießer

Juanita Henning ist Sprecherin von Doña Carmen e.V., einem Verein für die sozialen und politischen Rechte von Prostituierten mit Sitz in Frankfurt am Main, und Herausgeberin der Prostituierten-Zeitung La Muchacha. Über die sich angeblich gegen Zwangsprostitution richtende „Abpfiff“-Kam-pagne des Deutschen Frauenrates, das Propaganda-Werkzeug „Dunkelziffer“, über latente Kriminalisierung, ein rot-grünes Schaufenstergesetz sowie den Verrat einer selbsternannten Linken an SexarbeiterInnen sprach mit ihr Markus Bernhardt

Anläßlich der Fußball-Weltmeisterschaft hat der Deutsche Frauenrat die Kampagne „Abpfiff“ ins Leben gerufen. Diese soll sich gegen Zwangsprostitution richten, mit der zur WM verstärkt gerechnet wird. Was halten Sie davon?
Diese Kampagne dramatisiert das Thema Menschenhandel. Von den 972 offiziellen Opfern von Menschenhandel waren 2004 lediglich 107 in der Betreuung von Beratungsstellen, nur 18 im polizeilichen Zeugenschutz. Daß sind 0,009 Prozent aller 200.000 Prostituierten hierzulande. Für über 99 Prozent von ihnen ist Menschenhandel kein Thema. Da hilft auch keine Flucht in die Dunkelziffer. Die Strafbestimmungen zum Menschenhandel erlauben zudem eine Kriminalisierung der freiwilligen Prostitution. Deshalb waren 2004 laut Bundeskriminalamt (BKA) zwanzig Prozent der angeblichen Opfer von Menschenhandel mit ihrer Prostitutionstätigkeit einverstanden – und wurden dennoch abgeschoben.
Und was heißt überhaupt „Zwangsprostitution“? Es ist ein emotionalisierender Begriff für die Summe arbeits- beziehungsweise strafrechtlich relevanter Verstöße, die nur im Falle von Prostitution einem spezifischen Berufsfeld als „Menschenhandel“ zugeordnet werden. Niemand käme auf die Idee, etwa die im Bereich des Bank- und Kreditwesens vorkommenden Verstöße gegen arbeits- und strafrechtliche Normen zusammenzufassen und die davon Betroffenen als „Zwangsbanker“ zu bezeichnen. Erreicht haben die als Aufklärung und Sensibilisierung vermarkteten gegenwärtigen Anti-Freier-Kampagnen eine neue Repressionswelle gegen Prostituierte: massiver Kontrolldruck, permanente Beobachtung im Vorfeld der WM, Schleierfahndungen in Bayern und verschärfte Grenzkontrollen, für die Bundesinnenminister Schäuble sogar das Schengener Abkommen befristet aussetzen will. Zudem wurde im Bundesrat ein Gesetzentwurf zur Freier-Kriminalisierung mit der Wiedereinführung des Straftatbestands Förderung der Prostitution beschlossen. Davon halten wir nichts.

Jedoch unterstützt auch der Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen (BSD) die Kampagne. Verrät er damit die Interessen seiner Klientel?
Der Deutsche Frauenrat ist durch seine Vorsitzende Brunhilde Raiser im Vorstand der European Women’s Lobby (EWL) vertreten, die erst kürzlich den schwedischen Vorstoß für ein Verbot des Kaufs sexueller Dienstleistungen in Deutschland öffentlich bejubelt hat. Der BSD muß selbst wissen, ob er sich hier in guter Gesellschaft befindet.

Ist die Kriminalisierung des Kaufs sexueller Dienstleistungen ein probates Mittel, um die Rechte Prostituierter zu schützen und gegen Menschenhandel vorzugehen, wie es von seiten der etablierten Politik betont wird?
Die Kriminalisierung von Prostitutionskunden schützt nicht die Rechte der Prostituierten, sondern „schützt“ Prostituierte vor der Ausübung der Prostitution. Das nennt man dann „Verteidigung der Menschenrechte“ von Frauen, es ist aber die Diskriminierung von Prostitution. Niemand käme auf die absurde Idee, Taxifahrer, Kioskbesitzer oder Tankstellenpächter durch Kriminalisierung vor ihrer Kundschaft zu schützen.

Prostitution wird in der Bundesrepublik noch immer nicht als „normaler“ Beruf wahrgenommen. Was gilt es dagegen zu unternehmen?
Das rot-grüne Prostitutionsgesetz (ProstG ) war immer ein Schaufenstergesetz. Es erkennt Prostitution nicht als Beruf an. So erklärte Frau Brandt-Elsweier 2001 für die SPD im Bundestag, „daß wir mit diesem Gesetzentwurf Prostitution nicht als einen normalen Beruf anerkennen. Ich sage hier klar und deutlich: Das ist von uns nicht gewollt und wird es auch nicht geben.“ Gerade angesichts der gegenwärtigen Bestrebungen, das ProstG zu kippen, sollte man es nicht schlicht verteidigen, sondern sich auf einen zweiten Anlauf zu einer umfassenden Legalisierung von Prostitution verständigen.

Die Polizei begründet Bordell-Razzien immer wieder damit, gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution vorzugehen. Sind diese Begründungen ernstzunehmen?
Nicht wirklich. Tatsächlich geht es um Eindämmung der Prostitution und eine Reduzierung der Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen als Beitrag zur verschärften Migrationskontrolle. Ziel ist es, „die Sex- und Arbeitsmärkte einer deutlich sichtbaren Überwachung zu unterstellen“, heißt es in der „Brüsseler Erklärung“ der EU aus dem Jahr 2002. Diese EU-Strategie wird europaweit mit einer verschärften Razzienpolitik umgesetzt.

Im Gegensatz zu anderen Verbänden und Vereinen, die sich mit dem Thema Prostitution beschäftigen, lehnen Sie eine Zusammenarbeit mit der Polizei und den Ausländerbehörden ab. Gelingt es Ihnen so überhaupt, etwas für die Rechte der ausländischen Prostituierten zu unternehmen?
Die Erkämpfung von Rechten für Prostituierte ist eine politische Frage, für die der Gesetzgeber, nicht die Behörden, zuständig ist. Dafür machen wir Öffentlichkeitsarbeit, aber auch Aktionen mit Betroffenen. Im Rahmen der Sozialarbeit von Doña Carmen haben wir fast täglich mit Ausländerbehörde und Polizei zu tun. Niemand zwingt uns, mit ihnen vertrauensvoll zusammenzuarbeiten, gemeinsam Razzien durchzuführen oder uns von der Polizei-Kooperation finanziell abhängig zu machen. Was hat die Polizei-Kooperation von Beratungsstellen eigentlich erreicht, außer der Repressions- und Abschiebepolitik einen humanitären Anstrich zu verpassen?

Es scheint, als würden Sie in Ihrem Kampf für die Rechte von Prostituierten nahezu alleine gelassen. Selbst Politiker aus der Linkspartei.PDS argumentieren mit einem moralischen Habitus, statt sich offensiv für die Belange Ihres Berufsstandes einzusetzen. Erst im Februar mobbten Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion den Abgeordneten Gert Winkelmeier mit der Begründung aus der eigenen Fraktion, er vermiete Wohnungen an Prostituierte. Wie bewerten Sie diese Vorgänge?
Es gibt eine parteiübergreifende Allianz der Spießer, denen – wie beim Mobbing gegen Gert Winkelmeier – die Legalisierung von Prostitution höchstens ein Lippenbekenntnis wert ist. Daß auch die in der Prostitution praktizierte Trennung von Sexualität und Liebe eine Form sexueller Selbstbestimmung ist, wird vielfach überhaupt nicht reflektiert. Im übrigen erhielten wir, als wir uns seinerzeit öffentlich mit Winkelmeier solidarisierten, spontanen Zuspruch aus den Reihen der Linkspartei.

Ist die Linksfraktion nach diesen Vorgängen überhaupt noch Ansprechpartner für Ihren Verband? Was erwarten Sie zukünftig an Aktivitäten von den Abgeordneten der Linkspartei bezüglich der Gleichberechtigung von Prostituierten?
Wir erwarten von der Linksfraktion, daß sie ihren unkritischen Kurs hinsichtlich der Unterstützung von Kampagnen gegen Menschenhandel und sogenannte Zwangsprostitution überprüft. Die darin zum Tragen kommende Gegnerschaft zur Prostitution, Ausländerfeindlichkeit und Migrationskontrolle sind doch unübersehbar. Weitere Knackpunkte sind die Haltung zur geplanten Freier-Kriminalisierung und zu der immer noch ausstehenden Evaluation des Prostitutionsgesetzes.